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Writer's pictureSilvio Zuellig

Supergau im Paradies

Updated: Apr 13, 2021

Cabo Espichel – dieser Name hat sich in unser Gedächtnis eingebrannt. Auf der beschaulichen Landzunge südlich von Lissabon war es an jenem Wochenende im November still und menschenleer. Eine Idylle... Dann geschah jäh das Unerwartete.



Die Dynamik, der Charakter unserer Reise lässt sich recht gut an der effektiv gefahrenen Route erkennen: Im nördlichen Teil von Portugal war das eine mehr oder weniger gerade Linie, von der Grenze zu Spanien bis Evora weiter unten. Die Linie sagt uns hier: Flüssiges, zielgerichtetes, kompliktaionsarmes Reisen.


Der Abzweiger danach, ab Evora im rechten Winkel westlich an’s Meer nach Lissabon, wirkt noch geordnet. Aber ein Stück weiter / später läuft die Linie chaotisch aus dem Ruder, so wie unsere Reise im wesentlichen.



Cabo Espichel


Der Name dieses Kaps, auf einer Landzunge 50 km südlich von der Hauptstadt, hat sich in unser Gedächtnis eingebrannt. Mehr oder weniger zufällig kommen wir nach unserem Besuch in Lissabon dahin, an einem Freitag Abend, und vorerst ist’s einfach nur paradisisch: Die letzten Kilometer bis zur Spitze der Landzunge sind so gut wie siedlungsfrei. Dort angekommen hat es, abgesehen vom Leuchtturm, ein etwas abseits ein halb zerfallenes unbewohntes Kloster mit Parkplatz, früher eine Pilgerstätte, und sonst ist da weit und breit gar nichts. Für Elefantino finden wir einen perfekten Standplatz, abgeschirmt von Gebüsch ein Stück neben dem Leuchtturm, schön nach Süden ausgerichtet, mit Vorgarten, Privatsphäre und freier Sicht über den Atlantik.



Wir sind an einem abgelegenen Ausflugsziel für Naturliebhaber gelandet, saison- und pandemiebedingt nur vereinzeilt von Tagesausflüglern besucht. Die Region unterliegt am Samstag und Sonntag ab 13:00 einer allgemeinen Ausgangsperre, das macht für uns die sonst schon vorherrschende Ruhe und menschenleere absolut. In der Nacht sind wir abgesehen von den Leuchtturm-Bewohnern die einzigen Menschen weit und breit. Wir wähnen uns total abgeschieden von allem, aber der Eindruck täuscht, Lissabon liegt rund eine Autostunde entfernt…



Wir mögen diesen Ort, geniessen die Natur, diese Ruhe und das Panorama, und entspannen uns. Das Wetter ist auch schön, ruhig und mild an diesem Wochenende, und Sue und ich sind uns einig: Endlich, nach monatelangen Vorbereitungen, nach Verzögerungen, Hindernissen und Schwirigkeiten… Jetzt, hier, sind wir in unserem Projekt angekommen! In den letzten Wochen konnten wir etwas Reise-Routine entwickeln, haben unseren Rhythmus, unseren Flow gefunden. Jetzt sind wir da, jetzt läuft’s, juhuu! Darauf stossen wir am Sonntag Abend an, und beseelt und zufrieden blinzeln wir Montag Morgen in die strahlende Sonne. Wir fühlen uns wohl hier, zuhause, geborgen, sicher. Aber dieses Gefühl trügt, perfid, ein fataler Irrtum, wie sich schon bald zeigt.


Am Montag Abend begeben wir uns zum Sonnenuntergang an den Rand der Klippe. 200m trennen uns von unserem Truck, dessen Dach können wir über die Büsche hinweg im Abendrot noch deutlich sehen. Eine knappe Stunde verbringen wir da, fotografieren und filmen, und geniessen die Dämmerung. Als wir anschliessend zu Elefantino zurück kommen ist es stockdunkel und etwas kühl. Nichts ist auffällig, wir gehen direkt rein, kochen und essen drin. Als wir uns an diesem Abend nichts ahnend schlafen legen scheint die Welt noch in Ordnung.



Knock-out


Am nächsten Morgen gehe ich raus, nach vorne, und da wo sonst immer unsere beiden E-Bikes stehen, wo sie wie immer mit den massiven Schlössern an der Abschleppöse angekettet sind, ist … nichts! Ich kann mich nicht erinneren dass ich je meinen Sinnen so wenig getraut habe wie in diesem Moment. Die beiden Bikes sind einfach nicht mehr da. Weg, wie vom Erdboden verschluckt oder in Luft aufgelöst. Alles andere, auch die Sachen die sonst noch rum standen, sind unangetastet geblieben, nur unsere Fahrräder sind sang- und klanglos und spurlos verschwunden.



Aus anfänglich ungläubigem Staunen wird totale Fassungslosigkeit und dann blankes Entsetzen, als wir allmählich begreifen, dass die Räder sich natürlich nicht von selbst aus dem Staub gemacht haben, sondern entwendet wurden. Niemals, niemals hätten wir hier mit sowas gerechnet! Wer viel reist entwickelt mit der Zeit einen Sinn, Instinkte, was die Sicherheit einer Umgebung betrifft. In diesem Fall wiesen all unsere Sinne auf ‚grün‘ - unser Instinkte lagen aber total daneben, haben uns komplett verarscht. Dieser Umstand und die Rafinesse des Diebstahls beschäftigen uns noch heute.


Der Schock ist mächtig und wirkt tief, es braucht viel Zeit bis unsere Panik auch nur ein wenig nachlässt. Der Leuchtturmwärter wird von unserer Aufregung aufgeschreckt und telefoniert uns die Polizei herbei. Das Einzige, was uns die beiden Beamten am Nachmittag bieten, bevor sie wieder abziehen, ist ihr Achselzucken und die Adresse des Polizeipostens für den Rapport. Da stehen wir, in vollkommener Bestürzung. Unsere Idylle zerreist und wandelt sich in einen Albtraum.


Nachdem wir Stunden später unsere Denkfähigkeit ansatzweise wiedererlangen, beginnt zweierlei: Einerseits rekonstruieren wir akribisch den Tathergang. Resultat: Das war kein Gelegenheits-Lausbubenstreich. Das war ein geplanter, gezielter, organiserter Diebstahl auf professionell kriminellem Niveau. Die Diebe müssen uns beobachtet haben, vermutlich schon länger, vielleicht seit Tagen. Die Hochwertigkeit unsere Räder muss ihnen aufgefallen sein. Als sie sahen, dass wir uns am Vorabend weg an die Klippe entfernten, wussten sie, dass ist ihr Moment, und haben im Schutz der Dämmerung zugeschlagen. Dreist, einige Meter vom bewohnten Leuchtturm entfernt, hinter den Büschen ausser Sichtweise, müssen sie mit einem Transporter oder ähnlich vorgefahren sein, das Schloss geknackt, eilig beide Bikes eingeladen und sich schnurstracks aus dem Staub gemacht haben. Sonst haben sie nichts angefasst. Die einzige, was sie hinterlassen haben, sind Reifenspuren auf unserem kleinen Vorplatz. Tagelang sind wir kaum in der Lage, diesen Hergang als Tatsache zu akzeptieren.



Das andere, was unsere wieder funktionierenden Synapsen in den folgenden Tagen zutage fördern, ist die volle Tragweite des Ereignisses: Abgesehen vom rein materiellen, finanziellen Verlust - wir sprechen über einen Neuwert von rund 20’000€ - handelt es sich bei unseren Pedelecs um einzigartige Sonderanfertigungen aus einer Vorserie, welche nicht so leicht wieder herzustellen sind. Hinzu kommt der Verlust eines der zentralsten Elemente unseres Projektes und der Grundlage unserer Tätigkeit. Etwa so, wie wenn einem Betrieb die Fabrikhalle abbrennt: Fertig, aus, Produktionsstopp, von einem Moment auf den anderen. Darüber hinaus wurde unser Fuhrpark abrupt von 8 auf 4 Räder halbiert, was ein jähes Ende unserer eben gerade so schön entfalteten Reisedynamik bedeutet, das vermutlich auf längere Zeit hinaus.


Die Sache hat uns komplett den Boden unter den Füssen weggezogen, und wir brauchen über zwei Wochen, um den Schock zu überwinden und uns moralisch wieder zu fangen.





Back on Track


Wir selbst und Elefantino sind unversehrt geblieben, und das Leben geht natürlich weiter. Die zwei Wochen nach dem verhängnisvollen Tag stehen ganz im Zeichen der Aufarbeitung des Diebstahls. Zwei befremdliche Besuche auf dem örtlichen Posten der Guarda National verschaffen uns einen Polizeirapport, das ist aber auch alles. Wir suchen weiträumig den Tatort ab, sprechen mit verschiedenen Leuten. So erfahren wir auch, dass am Cabo Espichel häufig Autos aufgebrochen und Sachen gestohlen werden. Beliebtes Terrain von Verbrecherbanden, da die Verhältnisse vor Ort Diebstähle begünstigen, auch weil kaum jemand damit rechnen würde… Im Nachhinein können wir das gut nachvollziehen, nachher ist man immer schlauer. Als wir vor Ort alles in unserer Macht stehende unternommen zu haben, ist uns danach zumute, die Gegend zu verlassen.


Wir fahren in eine andere Region, pflegen unsere strapazierten Nerven und konzentrieren unser Kräfte auf die Problemlösung. Abklärungen mit Versicherungen und erste Gespräche für einen Ersatz, mit unserem Partner, dem Hersteller der Bikes HNF Nicolai, gehören auch dazu. Aber hauptsächlich unternehmen wir erst mal alles in unserer Macht stehende für die Wiederbeschaffung der gestohlenen Pedelecs. Wir definieren ein Finderlohn, ein Lösegeld, kreieren dafür ein Flyer. Drucken davon 250 Stück, fahren mehrere Male zurück zum Tatort, hängen und legen sie dort und im Umkreis von 50 km aus. Überall, an Kreuzungen und Bushaltestellen, in Kneipen und Bars, in Dörfern uns Städten. Parallel dazu streuen wir den Flyer über unsere Kontakte in Portugal und Spanien. Täglich scannen wir die einschlägigen Second-Hand-Plattformen im Netz. Ein Bekannter von uns, spezialisierter Kriminologe, nimmt sogar die Kenndaten der Pedelecs in eine Datenbank auf, die überall in Europa nach Diebesgut fandet.



Das alles hält uns für wir längere Zeit beschäftigt und gibt Inhalt und Richtung. Es befreit uns aus dem Ohnmachtsgefühl und hilft die ganze Sache zu verdauen. In diesen gut zwei Wochen fahren wir für all die Aktionen weiträumig kreuz und quer in der Gegend rum. Das ergibt all die Schlaufen und Kringel in unserer Reiseroute, wie eingangs beschrieben. Vila Nova de Milfontes und Sesimbra sind Orte, an denen wir auch mehrere Nächte stehen. Elefantino fällt natürlich auf, in der Gegend fangt man an uns zu kennen, und es ergeben sich auch die eine oder andere nette Begegnung. In der Stadt Setubal schliessen wir unsere Flyer-Aktion ab und beziehen Quartier in einem nahen Camping. Da treffen wir erst wieder auf unseren Freund Manu, dann kommen Marcio und Rosa mit ihrem Offroader, und das ist der Auftakt in unser nächstes Abenteuer…



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