Es ist traurig, nervig, aber wahr: Das Thema, welches uns seit dem Start der aktuellen Reise in Paris im Spätsommer konstant und am beharrlichsten begleitet, ist die Virus-Pandemie und ihre Auswirkungen. Dies ist kein allgemeiner Diskurs zum Thema Corona, solche gibt's sonst schon genug, sondern ein subjektiver Erfahrungsbericht.
Wer auch die anderen Fotos vom Start in Paris im September gesehen hat, dem dürfte aufgefallen sein: Menschenleer, die Stadt, die Plätze und Strassen. Für die Aufnahmen war das vorteilhaft, für das Gefühl war’s das weniger. Und dieses Gefühl hat uns seither nicht mehr los gelassen. Zu Beginn in Frankreich und auch noch in Nordspanien waren die Restriktionen noch einigermassen übersichtlich und die Umstände noch relativ entspannt. Anschliessend in Portugal ab Mitte Oktober verschärfte sich die Situation.
Massnahmen?
Die Fallzahlen schossen überall hoch, die zweite Welle war da, und damit auch die Reaktionen aus Regierungskreisen. Der Massnahmenkatalog präsentiert sich aber diesmal differenzierter, regionaler und punktueller. Nicht so rigoros, generell und flächendeckend wie in der ersten Welle. Die neue Strategie mag sinnvoll und gut gemeint sein, das Resultat jedoch ist hier im Süden eine unübersichtliche Flut an Warnungen, Anweisungen und Einschränkungen. Wir konsultierten alle im Netz verfügbaren seriösen Informationsquellen: Auswärtige Ämter, lokale Behörden, hochoffizielle EU-Seiten… Die Angaben sind zu oft unklar, mangelhaft, verwirrlich, sogar teils widersprüchlich, … und ändern sich fast täglich! Eine Überforderung der zuständigen Instanzen liegt nahe. Auch die mündlichen Informationen von Einheimischen zeugen von Verunsicherung. Kurz - wir blicken nicht durch, niemand scheint wirklich den Durchblick zu haben, nicht die Behörden, und schon gar nicht die Bevölkerung!
So präsentiert sich die Lage
in Portugal Anfang November:
rot gekenzeichnet die gemäss
Inzidenz gesperrten Gebiete,
grün die offenen.
Ein Spiessrutenlauf für alle die unterwegs sind.
Ein paar Tage später ist
dann alles wieder anders...
Mitte November - die Lage hat sich noch mehr zugespitzt. Deutsch-schweizerisch korrekt wie wir anfangs noch waren, hielten wir uns an die nationalen und regionalen Vorschriften: Wir respektierten regionale Reiseeinschränkungen, umfuhren dafür ganze Regionen, mieden die Hochrisikogebiete und verzichteten auf Städte. Blieben auf dem dünn besiedelten Land und befolgten die Sperrstunden und Wochenend-Teillockdowns.
Wir waren also brav, mussten aber feststellen… es interessiert niemanden! Es macht übrigens den Anschein, als würde - wenn überhaupt - unfairerweise die lokale Bevölkerung eher sanktioniert als wir Ausländer. Denn uns lässt man in Ruhe, wir existieren quasi nicht oder sind zumindest nicht relevant. Kein einziges Mal haben wir erlebt dass auch nur eine all dieser Anweisungen irgendwie irgendwo kontrolliert worden wären! Keine Wegweisungen, Zurechtweisungen, keinen Grenzkontrollen, keine Ordnungshüter die uns aufhielten, erst recht keine der angedrohten Strafzettel. Wir werden gar nicht beachtet, sogar komplett ignoriert!
Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit erscheinen uns zunehmend als kaum logisch, der Sinn davon wenig nachvollziehbar. Irgendwann jedenfalls haben wir die Nase voll, ignorieren unsererseits die entsprechenden Bestimmungen und lassen es darauf ankommen. Wir bleiben achtsam, reisen aber frei, und nach wie vor passiert … gar nichts!
Rollende Quarantäne
Wir nehmen Covid-19 ernst und setzen uns damit auseinander. Wir orientieren uns am wissenschaftlichen virologischen Konsens und befolgen die daraus resultierenden Verhaltensregeln. Social Distancing, Masken tragen und Hände desinfizieren, etc. ist längst verinnerlicht und selbstverständlich. Hinzu machen wir mit unserem mobilen, autarken Lebensstil vieles ganz von alleine richtig: Wir haben äusserst wenig Kontakte näher als 5 Meter. Ausnahmen ergeben sich beim Tanken (ca. alle 2-3 Wochen) und Einkaufen (alle 4-5 Tage), sowie die spärlichen Begegnungen mit Einzelpersonen oder Paaren. Der überwiegende Teil der Begegnungen finden draussen an der frischen Luft statt. Und die allermeiste Zeit verbringen wir sowieso abseits der Menschenmengen in weitgehender Isolation draussen in der Natur, in rollender Quarantäne, egal wo und in welchem Land. Somit gehen wir ausgesprochen wenig Risiken ein und sind kaum eines für andere.
Geisterland und Totenstille
Trotz allem sind die Auswirkungen der Massnahmen unausweichlich. Leere Strassen, geisterhafte Ortschaften, überall wo wir vorbei kommen. Eine unheimliche Stille liegt wie ein bedrückender Schatten über allem. Am ausgeprägtesten war das während der Ausgangssperren in Portugal jeweils am Wochenende ab 13:00: Die Welt stand so beängstigend still wie in den extremsten Momenten im vergangenen März. Oft fühlt es sich an als wären wir die einzigen Menschen weit und breit. Irgendwann schlägt das auf die Stimmung, begleitet von diesem diffusen Gefühl von „flüchten“ und „sich verstecken“. Kein Wunder ist es uns alleine weit ab in der Pampa am wohlsten, der Kontrast ist da weniger spürbar: Für die Tier- und Pflanzenwelt ist der Virus ja nicht relevant. Deshalb fühlt sich draussen in der Natur alles „normal“ an. Das ist tröstlich und tut gut.
Weg von allem wurde eine spezielle Art von Einsamkeit, präziser Zweisamkeit, unser treuer Begleiter. Aber so sehr wir beide die Abgeschiedenheit in weiter Natur auch mögen, irgendwann reicht’s auch für uns. Die Isolation potenziert zudem die Herausforderung, als Paar klar zu kommen, seit letztem Sommer, Tag für Tag, nicht selten rund um die Uhr. Unser Allrad-Zuhause hat bekanntlich ein Innenbereich mit 9m2 Wohnfläche…
In den Küstengebieten der Algarve und Andalusiens bewegen wir uns unweigerlich oft in touristischen Gebieten. Jetzt, im Winterhalbjahr, sind ausgedehnte Ferien-Siedlungen und grosse Hotels meist unbewohnt. Viele Restaurants, Bars, Läden, Souvenir- und Surfshops - fast alles zu. Die durch Corona-Massnahmen verursachte gespenstige Leere und surreale Stille wird also zusätzlich noch verstärkt durch den Dornröschenschlaf der Offseason. Beides zusammen bildet ein mächtiges Vakuum, im krassen Gegensatz zu der lebendigen Betriebsamkeit, wie man sie bei den vorhandenen Infrastrukturen und zu „normalen“ Zeiten erwarten dürfte.
Qualitäten
Es ist aber nicht einfach alles nur übel. Auch die widrigste Sache hat positive Seiten. Neben den angenehmen Aspekten von viel Platz und Ruhe gehört auch das dazu: Einige der gelegentlichen Begegnungen sind verständlicherweise geprägt von Verunsicherung und Zurückhaltung. Bei anderen jedoch ist es das pure Gegenteil: Unbekannte zeigen sich erfreut mal wieder jemandem gegenüberzutreten und kommen überaus freundlich und wohlwollend auf uns zu. Hier wird der Hunger nach direkten Life-Kontakten spürbar. Oft ergibt sich ein längerer Schwatz auf Distanz, es wird persönlich, man nimmt sich gerne Zeit dafür und bleibt hängen. Gerade beim Reisen ist das eine willkommene Qualität.
Oder die Sache mit der Selbstverständlichkeit. Die Entwöhnung hat für uns Wohlstandsgesättigte eine heilende erfrischende Wirkung. Der Spaziergang auf einer belebten Allee mit dem Soundteppich aus Gemurmel, Gelächter und Kindergeschrei im Ohr. Der Cappuccino mit frischem Brioche am Promenadentischchen des stylischen Cafés um’s Eck. Abends das frisch gezapfte Bier in der hippen Bar und anschliessend ein gediegener Restaurantbesuch, alles in Gesellschaft anderer Menschen. Nichts davon ist heute selbstverständlich gegeben und gewöhnlich, sondern speziell kostbar und aufregend. Es ist der bewusste Genuss, welcher die Wertschätzung dieser vermeintlichen Nebensächlichkeiten wieder herstellt.
Wir sind davor viele Wochen und über lange Strecken ohne diese Annehmlichkeiten ausgekommen. Bei den Besuchen der Städte Evora und Lissabon haben genau diese wiedergewonnenen Werte unseren Eindrücke veredelt und bereichern unsere Reise seither, wo und wann auch immer wir sie erleben dürfen.
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